Frau Garnet Becker - Leiterin der Kaufmännischen Schulen im Interview

Die jungen Menschen sind ganz anders als wir denken

Was sehen und erleben Sie als Schulleiterin der Kaufmännischen Schulen in Hanau, wie angehende Abiturient:innen ihre Berufs- und/oder Studienwahl treffen?

Aus meiner Sicht gibt es zwei Trends: Einmal gibt es eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern, die bereits früh ihre Berufswahl getroffen haben und diese zielstrebig verfolgt. Diese Gruppe weiß schon, wenn sie zu uns ans berufliche Gymnasium kommt, was sie will, und entscheidet sich bewusst für den für sie passenden Schwerpunkt - Gesundheit, Wirtschaft oder Erziehungswissenschaften.

Und dann gibt es diejenigen, und das sind die meisten, die wissen mit Eintritt in die Oberstufe noch nicht, was sie später beruflich machen möchten. Sie sind noch orientierungslos und entscheiden sich eher aus einem Bauchgefühl heraus für einen Schwerpunkt. Manche finden dann eher zufällig die Richtung, in die sie auch später gehen wollen oder sie machen die Erfahrung, dass sie etwas ganz anderes wollen, was aber auch gut ist, denn das verhindert spätere Studienabbrüche in diesem Gebiet. 

 

Welche Trends und Veränderungen haben Sie in den letzten Jahren feststellen können?

Der klare Trend ist, weg von der Lehre und hin zum Studium. Man könnte sagen, dass sich das Abi lohnen muss. Viele Schülerinnen und Schüler sind erstaunt, wenn ich berichte, dass ich nach dem Abitur erst einmal eine Lehre gemacht habe. Die meisten beginnen erst einmal ein Studium, auch wenn sie in einer Lehre besser aufgehoben wären, weil diese eine gewissen Struktur vorgibt. Aber dann drehen sie eben diese Extrarunde im Studium, haben das Studentenleben gelebt, sind sich klar geworden, was sie wollen und schwenken dann nochmal um. 

 

Warum glauben Sie, ist es für kleine und mittelständische Unternehmen in der Region, so schwierig, junge Menschen für sich zu gewinnen?

Wie gesagt, weil die Lehre an sich nicht en vogue ist und wenn alle Freunde studieren, dann will man auch studieren und dann ist natürlich ein duales Studium wirklich attraktiv - also eine Variante mit Lehre plus Studium. 

Das zweite ist, dass viele auch erst einmal dieses Studentenleben wollen. Und gerade diejenigen, die dann aber merken, dass sie den Prüfungsanforderungen nicht gewachsen sind und sich dann umorientieren, sind sehr gute Leute. Das schlechte Image der Studienabbrecher ist veraltet und da müssen Unternehmen umdenken.

Also eine weitere Idee neben dem Angebot eines dualen Studiums könnte sein, sich ganz gezielt auf Studienabbrecher zu fokussieren, weil die genau wissen, was sie wollen und dann aus sich heraus auch nach etwas Handfestem suchen. 

 

Was denken Sie, bräuchten die jungen Menschen, um leichter eine Entscheidung treffen zu können?

Zeit und Orientierung. Ich glaube, das ist das Einzige, was man den jungen Menschen geben kann und sollte.

 

Was können aus Ihrer Sicht Unternehmen tun, um diese Orientierung zu geben?

Das ist schwierig. Ich glaube, die Orientierung gibt das Leben. Ich kann sagen, was ich in meiner Leitungsposition mache, um dem Lehrermangel zu begegnen.

Ich rekrutiere mittlerweile ehemalige Schülerinnen und Schüler, die Lehramt studieren, und habe sie relativ früh schon bei mir unter Vertrag für Vertretung, Doppelbesetzung und so weiter. Und ich biete jede Menge Praktika an und versuche, die guten Praktikanten und Praktikantinnen immer sofort über Verträge an die Schule zu binden.

Das ist bei Unternehmen natürlich eine andere Situation, aber vielleicht gibt es dort auch Möglichkeiten, über Ferienjobs zum Beispiel. Oder andere kreative Wege, wie während der Studienzeit einen Job anzubieten, der auch am Samstag gemacht werden kann oder auch im Homeoffice. Also ich glaub, dahin geht's.

 

Gibt es weitere Punkte, in denen Unternehmen aus Ihrer Sicht umdenken müssen?

Ja, auf jeden Fall. Wichtig ist, das Bild aus dem Kopf zu bekommen, dass die Generation-Z keine Lust hat zu arbeiten. Das stimmt nicht! Es ist nicht so, dass sie nicht arbeiten wollen.

Ganz im Gegenteil, unsere Lernenden  arbeiten fast alle und das neben der Schule, allein weil sie einen Lebensstandard haben oder haben wollen, der Geld braucht. 

Ich finde sogar, sie arbeiten zu viel. Ich sage immer: „Ihr seid Vollzeitschüler und das andere ist ein Add-on.“ Aber vielleicht geht es darüber, denen attraktive Ferienjobs zu bieten. Das könnte aus meiner Sicht wirklich eine Möglichkeit sein, junge Menschen kennenzulernen und dann auch während eines Studiums an das Unternehmen zu binden. 

 

Was glauben Sie, ist für die jungen Menschen entscheidend, um sich für ein Unternehmen zu entscheiden?

Es ist auf jeden Fall nicht der Tischkicker. Ich glaube, es ist ganz viel die Atmosphäre im Unternehmen und natürlich auch die Führungskultur.

Es ist die Teamarbeit und Begegnung auf Augenhöhe. Aber da haben Unternehmen Spielräume. Was kann man nach Hause verlagern? Muss der Student, der im Unternehmen während der Semesterferien arbeitet, auch während des Semsters in die Firma kommen? Geht da nicht auch was von zu Hause? Ich glaube, so geht's.

 

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